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Dienstag, 3. Januar 2017

Detailgenau

Heute möchte ich mal wieder ein bisschen zu meinem Tun erzählen. Es geht um die Details und warum sie so plastisch wirken. Zunächst ein Foto dazu:


Konzentrieren wir uns mal auf den Mund. Bei einem Baby ist die Haut noch samtig, weich und zart. Die Lippen haben kaum Fältchen, die Lippenfarbe weicht noch nicht allzu sehr von der sie umgebenden Haut ab. Und doch hat ja der Mund im Umfeld eine sich abhebende Struktur. Am meisten setzt sich der Spalt zwischen den Lippen ab.  Daher ist es sinnvoll, ihn zuerst zu platzieren und mit einem kräftigen, weichen Bleistift auszuarbeiten. Allein aus dem Graphit, das dabei aufs Papier kommt, lassen sich mit einem feinen Papierwischer schon Ober- und Unterlippe herauswischen. Dabei achte ich auf Lichtreflexe auf der Unterlippe. Sie bleiben ausgespart, die Schattierungen werden erst darunter mit weichem Übergang fortgesetzt. Dies erfordert ein ständiges Hin- und Herwandern meines Blickes. Dabei darf mich niemand stören (daher nenne ich meinen Zustand dann auch klausurös). Lediglich eine ganz sanfte Entspannungsmusik ist für meine Arbeit an einem Babyportrait förderlich, wie etwa diese hier.

Nachdem die Ober- und die Unterlippe herausgeholt sind, werden sie in die untere Gesichtshälfte dadurch eingebettet, dass die Hautpartien zurückgesetzt werden, die von den Mundecken zum Kinn herabführen. Dies geschieht durch feines Schattieren mit dem Estompe. Diese Partien zeichne ich nie, außer bei alten Gesichtern, bei denen sich die Falten zum Kinn stark eingegraben haben, wie etwa bei dieser Frau:


Ich finde es immer ganz besonders faszinierend, wenn ich nacheinander ein durchs Leben geprägtes Gesicht zeichne, das tausend Geschichten von durchlebten Gefühlen erzählt und dann ein Babygesicht, ein noch unbeschriebenes Blatt. Man vergleiche auch mal den Bereich zwischen Mundecken und Nase, der sich beim alten Menschen mit tiefen Falten sehr kräftig ausgebildet hat.


Hier kann man den Mund und sein Umfeld nochmal mit etwas Abstand betrachten:


Beim Babyportrait ist das Schattierte kaum als gezeichnet zu erkennen. Doch ließe man es weg, dann würde das Gesicht flach und unlebendig wirken.


Ich komme zu einem anderen Detail, dem Knopf und dem Kleidchen auf der Haut. Wie kommen diese Details plastisch heraus? 

Für den Knopf zeichne ich zuerst den Umriss mit einem harten Bleistift, dessen Graphit hinterher in den dunkleren Partien verschwindet. Ich zeichne ja nur selten Linien. Die Linien, die auf einem Bild erscheinen, ergeben sich durch Unterschiede in der Helligkeit verschiedener Bereiche. So grenze ich also zunächst ab. Beim Knopf ist das der äußere Rand, der im rechten Bereich eine Delle erfährt, weil er etwas hinter dem Stoff verschwindet. Dann zeichne ich sehr feine Linien, die den hell spiegelnden Bereich umranden. Hier zum Vergleich der entsprechende Ausschnitt der Fotovorlage:

 


Nun wird alles dunkel gezeichnet, was auch auf dem Foto dunkel ist. Dabei achte ich nicht so sehr darauf, dass der genaue Grauwert getroffen wird. Der Kleiderstoff ist etwa auf der Zeichnung deutlich heller als auf der Vorlage, was aber beabsichtigt ist, um dem Portrait eine entsprechende Zartheit zu verleihen. Würde es sich vom Foto nicht unterscheiden, bräuchte man es ja nicht zu zeichnen, dann könnte man einfach das Foto an die Wand hängen.

Der Knopf enthält nun gerade durch den  - im Verhältnis zum Kleid - deutlich dunkleren Grauwert eine schöne Plastizität. Man wird so später mehr auf dieses Detail schauen, was solch ein Portrait interessanter macht. Allerdings dürfen die Details auch nicht zu sehr vom Gesicht ablenken, das bei einem Baby ja durch die Augen betören darf.

Nun werden die ausgesparten Bereiche, etwa die Stiche vom Festnähen, genauer bearbeitet. Lichtreflexe bleiben ausgespart und werden fein mit einem sehr spitzem Bleistift abgegrenzt.

Nun beachte man die Schatten unter dem Träger des Kleidchens. Sie zeichne ich zuerst mit weichem Bleistift, der viel Graphit abgibt. Bei schräg einfallendem Licht kommen solche Bereiche immer als leicht spiegelnde Stellen heraus. Das macht das Ablichten echter Portraits auch immer etwas schwierig. Sobald die Lichtquelle von schräg vorne kommt etwa, spiegelt das Graphit:

ungünstig platzierte Lampe
An diesen Details kann man später die Echtheit eines Portraits erkennen. Bei schräger Aufsicht sind immer diese Stellen zu erkennen. Ein gedrucktes Portrait weist diese Echtheitsmerkmale nicht auf.

Und wie sind die Punkte aufs Kleid gekommen? Sie habe ich zuerst sehr fein umrandet, dann beim Schattieren  des Stoffs wiederum ausgespart. Faltenwürfe im Stoff werden nachträglich dunkler herausgeholt. Schauen schauen schauen - das ist das, was dazu erforderlich ist. Immer wieder schauen, vergleichen, modifizieren, das Ganze im Blick behalten, alles ins Verhältnis zueinander setzen. Bleibt die Harmonie des Ganzen erhalten?

Heute bin ich mit dem Erreichten zufrieden und mache mir jetzt eine Tasse Tee ... zum Wohle auf Dich, kleine E!


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